Interview mit dem Pilsner Residenzkünstler Jan Chabr
Jan Chabr ist Absolvent des Grafikdesign-Studios der Ladislav Sutnar Fakultät für Design und Kunst an der Westböhmischen Universität in Pilsen. Sein Fokus liegt auf Comics, Spieldesign, Buchillustrationen und Inhalten für soziale Medien. Während einer dreiwöchigen Kunstresidenz in Regensburg erfüllte er sich seinen Kindheitstraum und kreierte sein eigenes Brettspiel.
Wie fandst du deinen Residenzaufenthalt in Bayern?
Leider zu kurz! Aufgrund meiner Pflichten bezüglich der Diplomarbeit konnte ich nur zwanzig Tage bleiben. Zuflucht fand ich im Künstlerhaus Andreasstadel, wo ich ein Studio-Apartment und eine Gemeinschaft von Künstlern hatte, die in den Nebenräumen arbeiteten. Mir hat es gefallen, dass es hier eine kleine Galerie gibt, in der jede Woche gemeinsame sowie auch Einzelausstellungen stattfanden. Aber ich verbrachte die meiste Zeit draußen, in den magischen Straßen der Stadt.
Die Kommunikation war kein Problem, denn durch perfektes Englisch konnte ich meine geringen Deutschkenntnisse bei den Regensburgern gut kompensieren, und oft kam ich mit einem fröhlichen „Hallo! Ein Bier bitte" zurecht. Nur in einem Fall gab es ein Sprachproblem – ich war auf dem Weg zu einem Geschäftstreffen und habe es geschafft, den Mundschutz zu verlieren! In Panik und Zeitdruck suchte ich den ersten Laden auf und ging direkt zur Theke. Da stand eine verängstigte ältere Dame, die versuchte, mein wildes Englisch und meine Gesten zu verstehen. Am Ende wurden wir von zwei Touristen gerettet, die alles ins Deutsche dolmetschten. Die Dame griff unter die Theke, ich bezahlte mit meiner Kreditkarte und erst draußen wurde mir klar, dass ich gerade den teuersten Mundschutz meines Lebens in einem Souvenirladen gekauft hatte
Wer war dein Mentor auf deutscher Seite und wie hat die Zusammenarbeit funktioniert?
In Regensburg habe ich viele inspirierende Menschen getroffen, aber die meiste Zeit verbrachte ich mit Carolin Binder. Ohne ihre Begeisterung und ihren Einsatz wäre die Residenz um Weiten trister. Carolin hat die erstaunliche Fähigkeit, ein aufrichtiges Interesse an den Ideen anderer aufzubringen, was meiner Meinung nach für einen Künstler extrem bedeutungsvoll ist. Kristina würde mir sicherlich zustimmen (Anmerkung der Redaktion: Kristina Brasseler war im Frühjahr 2020 Künstlerin in einem Praktikum in Pilsen), meine sog. illustrative Schwester, mit der ich alles diskutieren konnte.
Kannst du dein Projekt kurz vorstellen?
Da die Erstellung des Spieldesigns überraschend schnell ging, wurde der illustrative Teil zum Kern der Residenz. Damit die Spieler besser in abstrakte Symbolkombinationen eintauchen konnten, war es notwendig, eine Erzählung zu erstellen. Ich erinnerte mich an den Lateinunterricht, genauer gesagt an das Konzept von genius loci, mit dem die alten Römer magische Ecken in der Stadt beschrieben haben. Sie glaubten, dass bestimmte Straßen, Ecken oder Inseln des Grüns von Geistern bewohnt werden, die diesen Orten außergewöhnliche Eigenschaften verleihen. Ich suchte nach solchen Orten in Regensburg und lernte viele Legenden, Geschichten und persönliche Eindrücke der Einheimischen kennen. Ich habe eine einfache emotionale Karte ausgewählter Orte zusammengestellt, einige persönliche Ideen hinzugefügt und eine Reihe von Illustrationen erstellt, auf denen beispielsweise eine riesige Henne über eine Steinbrücke läuft oder Bäume in der dunkelsten Winternacht blühen. Die Spieler kämpfen um die Gunst der abgebildeten Geister und versuchen, eine geeignete Atmosphäre in der Stadt zu schaffen.
Gab es bereits die Gelegenheit, es irgendwo zu sehen?
Teil des Spieldesigns ist das sogenannte Beta-Testen, eine Präsentation eines Prototypspiels, das von einer Gruppe auf Spielmechanismen und auf Verständlichkeit getestet wird. Bisher ist es uns gelungen, zwei solcher Treffen zu organisieren: eines im Degginger, und das andere in DEPO2015 in Pilsen. Ich habe Fotos von beiden Testspielen und Beispiele von Illustrationen auf die Facebook-Seite des Genius Loci-Spiels hochgeladen, auf der ich euch auch über die nächsten Entwicklungsstufen des Spiels auf dem Laufenden halten werde 😊
Was hältst du allgemein von Artist-in-Residency Programmen?
Ich hatte das Glück, die Residenzen als Produzent schon im Jahre 2015 auszuprobieren, als Pilsen die Kulturhauptstadt Europas war. Beide Erfahrungen waren sehr inspirierend und alle Künstler, mit denen ich über Residenzen gesprochen habe, haben mir dasselbe bestätigt. Wir sind sehr glücklich, in einer Zeit zu leben, in der dieser kulturelle Austausch möglich ist, und ich würde es sehr begrüßen, wenn dies auch in Zukunft so bleibt. Etwas auf der Grundlage digitaler Eindrücke zu schaffen, ist etwas völlig anderes, als den Ort aus erster Hand zu erleben und ihn in etwas Schönes und Lustiges zu verwandeln.